Forschung für die übernächste Marsmission

RIF will Roboter auf Mars und Mond so navigieren wie Holzerntemaschinen im Wald - Symbiose virtueller und realer, terrestrischer und planetarer Testumgebungen

Am Samstag, 26. November 2011, um 16.02 Uhr mitteleuropäischer Zeit, startet voraussichtlich in Cape Canaveral die nächste Mars-Mission. Welche Probleme den Rover „Curiosity“ bei seiner Marserkundung erwarten, können die Experten der Dortmunder Initiative zur rechnerintegrierten Fertigung (RIF e.V.) nur zu gut nachvollziehen: schließlich arbeiten sie in Dortmund und Aachen schon heute daran, die „übernächsten“ Marsmissionen sicherer zu machen – mit neuen Methoden, aus dem „Virtuellen Wald“.

 

Seit gut eineinhalb Jahr überträgt die Dortmunder Initiative zur rech­nerintegrierten Fertigung (RIF e.V.) in drei Forschungsprojekten Methoden aus dem Bereich der „Virtuellen Realität“, die sie zur Steuerung von Erntemaschinen in der Forstwirtschaft entwickelt hat, auf die Navigation mobiler Roboter auf Planeten. Im Landeanflug auf einen Planeten, so die Grundidee, wird die Oberfläche des Landeplatzes fotografiert und dreidimensional kartiert. (Projekt FastMap, Förderkennzeichen 50 RA 1033). Damit können die Landungen auf Planeten noch siche­rer werden, weil Höhen und Tiefen auf der Landefläche vor dem Aufsetzen erkannt und detailliert vermessen werden können. Um die Roboter nach der Landung navigieren zu können, sollen sie anhand diverser Kar­ten- und Sensordaten ihre Position exakt bestimmen können ( SELOK Förderkennzeichen 50 RA 1033). Damit Vorhaben unter den erschwerten Bedingungen, etwa bei geringer Schwerkraft und in extrem staubiger Atmosphäre, vorab getestet werden können, kombiniert RIF zudem auch virtuelle und reale Testumgebungen für Laufroboter ("Virtual Crater" (Förderkennzeichen 50 RA 0913) mit Hilfe der realen LUNARES-Kratertestumgebung des Kooperationspartners DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz). Die drei Projekte werden von der Raumfahrt-Agentur des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. mit Mitteln des Bundesminis­teriums für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.

   

Bereits 2008 hatte RIF mit dem „Virtuellen Wald“ demonstriert, wie sich Forstmaschinen durch die Fusion von Daten aus Luftaufnahmen, Geoinformationen und lokaler Sen­sorik im Wald lokalisieren und navigieren lassen - und damit die Grundla­gen für neue Logistik- und Automatisierungskonzepte in der Forstwirt­schaft gelegt. "Während der Virtuelle Wald vor allem eine umfassende, den Wald beschreibende Datengrundlage zur Verfügung stellt, mit denen Produktivitätssteigerungen in vielfältigen Bereichen der Forst- und Holzwirtschaft erzielt werden können, geht es hier zur Erreichung der Projektziele insbesondere darum, umfangreiche Tests, die im Weltraum kaum möglich sind, in Simulationen vorwegzuneh­men. Beides geht nur, wenn Ergebnisse aus unterschied­lichsten Disziplinen zueinander in Bezug gesetzt werden können," erklärt Prof. Dr. Jürgen Roßmann, der als RIF-Vorstand und Leiter des Instituts für Mensch-Maschine-Interaktion der RWTH-Aachen (MMI) an allen drei Projekten federführend beteiligt ist.

RIF-Presseinformation, 24.11.2011, Abdruck honorarfrei bei Nennung der Förderhinweise:

SELOK

Gefördert von der Raumfahrt-Agentur des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages unter dem Förderkennzeichen 50 RA 0918."

FastMap

Gefördert von der Raumfahrt-Agentur des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages unter dem Förderkennzeichen 50 RA 1033."

Virtual Crater

Gefördert von der Raumfahrt-Agentur des Deutschen Zentrums für Luft-und Raumfahrt e.V. mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages unter dem Förderkennzeichen 50 RA 0913.

Hintergrundinformationen zu den einzelnen Projekten

FastMap: Aus Kameraufnahmen im Landeanflug wird eine 3D-Karte von der Planetenoberfläche berechnet

Ziel des im Juli 2010 gestarteten Projekt "FastMap" zur 3D-Er­fassung der Planetenoberfläche ist die Gewinnung möglichst präziser Infor­mationen über das Landegebiet auf einem Mond oder Planeten durch Auswertung von Kameraaufnah­men während des Landesanflugs. Ähnlich wie beim Virtuellen Wald die Befliegungsdaten zu einer "Baumkarte" führen, ist das Ziel der Fernerkun­dung im Landeflug des Roboters die Erstellung einer "Krater- und Felsen­karte". Während der Mission werden die Sensordaten im Landeanflug bereits vorverarbeitet, so dass der Flugkörper zunächst einmal erkannten Hindernissen wie Kratern oder Felsen ausweichen kann. Nach der Landung werden dann – mit einer geplanten Rechenzeit von mehreren Tagen – die Details der aufgenommenen hoch aufgelösten Bilder zu dem angestrebten detaillierten Elevationsmodell mit den Höhenprofil der Planetenoberfläche verrechnet.

Planetary Landing Mock-Up zur Berücksichtigung der Landevorgänge und schwieriger Lichtverhältnisse

Damit die besonderen Bedingungen wie zum Beispiel das Flugverhalten von Landeeinheiten und die Sichtverhältnisse auf dem Mond realistisch be­rücksichtigt werden können, wird am MMI in Aachen ein so genanntes Planetary Landing Mock-Up aufgebaut. Dort werden unter anderem die Lichtbedingungen auf dem Mond, z.B. die harten, dunklen Schatten, in denen mangels Grauschattierungen kaum noch Konturen erkennbar sind, mit robotergestützen Beleuchtungsszenarien und einer künstlichen, mass­stabsgetreuen Mondoberfläche nachgestellt. Mit realen Hardwarekomponenten wird hier das Szenario so erfasst, wie es sich aus den unter­schiedlichen Winkeln im Landeanflug darstellt. Die dabei ent­stehenden Eingangs- und Ausgangsdaten dienen zur Kalibrierung eines virtuellen Mock-Ups, in dem die Einflüsse verschiedener Lichtverhältnisse bei unterschiedlichen Abstiegsbahnen des Landers mit wachsender Reali­tätsnähe in einer Virtuellen Welt im Computer nachgebildet werden können. Im Projekt FastMap zeichnet das MMI für die Erzeugung der Navigationskarten, die Ableitung von Landkar­ten und den Mock-up-Aufbau verantwortlich. Die Ableitung des Elevations­modells übernimmt die VCS Aktiengesellschaft, Bochum. Die CPA Sys­tems GmbH, Sankt Augustin entwickelt Geoinformationssysteme zur Da­tenverwaltung unter Weltraum- und Echtzeitbedingungen weiter. RIF ist für die Systemintegration und die Realisierung des Virtuellen Testbeds zu­ständig. Ferner stellt RIF den Transfer der Projektergebnisse zu den beiden Projekten SELOK und Virtual Crater sicher.

SELOK: Lokalisierung mit Informationen "von unten" auf Basis der bei FastMap erzeugten „von oben“-Karten

So wie die Erntemaschine im Wald via Laserscanner anhand der Baum­karte ihre exakte Position bestimmen kann, so soll der gelandete Roboter über Sensoren (Kameras, Laserscanner etc.) seine Umgebung "von un­ten" erfassen, diese Informationen mit den "von oben", d.h. mittels der im Anflug via der FastMap-Projektergebnisse erstellten Karten abgleichen und seine Position anhand der identifizierten Land­marken - etwa markanter Gesteinsbrocken - bestimmen können. Diese Zielsetzung verfolgt das Projekt SELOK "Selbstlokalisierung von mobilen Robotern auf planetaren Oberflächen", das Anfang 2010 gestartet wurde. Unter anderem werden von der Firma von Hoerner & Sulger GmbH, Schwetzingen, besonders leichte und für den Einsatz im Weltraum opti­mierter Laserscanner entwickelt - nebenbei bemerkt eine Innovation, die sich auch im Wald noch einmal als nutzbringend erweisen könnte: Bislang sind entsprechend leistungsfähige Laserscanner so schwer, dass sie nur an Fahrzeugen, nicht aber als tragbare Handgeräte eingesetzt werden können.

"Virtual Crater": Einzigartige Symbiose virtueller und realer Testumgebungen für realitätsnahe Mondszenarien

Neuentwickelte Hard- und Softwarekomponenten für Raumfahrtanwendungen müssen zunächst so realitätsnah wie möglich in Simulationen getestet werden, da die realen Arbeitsbedingungen auf der Erde gar nicht oder nur mit sehr hohem Kostenaufwand reproduzierbar sind. Da­bei muss sichergestellt werden, dass jeder Entwickler den Gesamtüber­blick über das System und die Wechselwirkungen der einzelnen Kompo­nenten behält. Das dritte Raumfahrt-Projekt des RIF mit Namen "Virtual Crater" dient der Entwicklung ei­ner einzigartigen Kombination aufeinander abgestimmter virtueller und realer Testumgebungen. RIF führt dieses Projekt gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI)und dem Institut für Mensch-Maschine-Interaktion der RWTH Aachen durch. Dabei wird die vorhandene reale Testumgebung LUNARES (DLR Fkz: 50 RA 0706) des DFKI, die zur Erprobung von Robotiktechnologien zur Erforschung von Mondkratern errichtet wurde, mit einer virtuellen Testumgebung abgeglichen. Zunächst virtuell geplante, evaluierte und getestete robotische Systeme werden der realen Testumgebung ausgesetzt. Die Ergebnisse der mit realen Robotern durchgeführten Experimente werden dann mit den Ergebnissen der gleichermaßen programmierten Roboter in dem Virtuellen Testbed des "Virtual Crater" abgeglichen - solange bis die aus der Simulation gewonnenen Ergebnisse mit den im realen Testbed gemessenen übereinstimmen. So entsteht schrittweise eine virtuelle Testumgebung, in der die Robotersysteme kostengünstiger als in der realen Testumgebung programmiert, getestet und optimiert werden können. Auch werden damit Missionsvorhaben überprüfbarer, bei denen ein physikalisches Mockup nur schwer oder unter hohen Kosten realisierbar wäre.

Die dabei entstehende virtuelle Testumgebung läuft auf "normalen" Arbeitsplatzrechnern, die bei aufwändigen Berechnungen von besonders leistungsfähigen Compu­terclustern unterstützt werden können. Die Simulationsergebnisse kön­nen auch mittels verschiedener 3D-Projektionsumgebungen bis hin zur be­gehbaren 3D-Panorama-Projektionen untersucht und analysiert werden. Da­mit bietet das Projekt "Virtual Crater", das noch bis Ende 2011 läuft, auch eindrucksvolle Möglichkeiten, die neuen Technologien zu demonstrieren.

Virtual Space Robotics Testbed: Ganzheitliche und systemübergreifende Simulation erweist sich als Schlüsseltechnologie

Die ganzheitliche und systemübergreifende Simulation komplexer Prozes­se, die im "Virtuellen Wald" die entscheidenden Produktivitätsfortschritte ermöglicht, erweist sich auch in Übertragung auf die Weltraumforschung als Schlüsseltechnologie: die Zusammenführung der Ergebnisse aus allen Teilsystemen über frühzeitig definierte Schnittstellen zu einem "Virtual Space Robotics Testbed" schafft eine Entwicklungsumgebung mit wach­sender Realitätsnähe, in der Hard- und Softwarekomponenten schnell und kostengünstig simuliert und getestet werden können. Die Vorteile des ganzheitlichen Vorgehens machen sich nicht nur in immensen Zeitgewin­nen und sinkenden Kosten für Tests von Hard- und Softwaresystemen be­merkbar. "Da wir jedes einzelne Detail in unseren Modellen kennen, erhal­ten wir immer tiefere Einblicke in die Geschehen vor Ort", betont Prof. Roßmann. Die Erkenntnisse aus dem Wald können weitgehend für den Weltraum genutzt werden - und könnten so zukünftig auch in anderen Umgebungen - etwa unter Wasser, unter Tage, auf der Straße oder in Fabrikumgebungen neue Wissensvor­sprünge liefern.

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